„Wenn Apfelbäume sprechen könnten“ von Lisa Torberg


Ein Roman, so bunt wie Südtirol und so liebenswert wie seine Menschen.

Liesi Thaler lebt mit ihrer neunzigjährigen Großmutter Filomena auf dem Apfelhof. Wie schon die Frauen vor ihr führt sie das Erbe ihrer Familie fort. Ihr Heimatort unweit von Meran ist ein beschauliches Fleckchen, seine Einwohner freundlich, das Leben von gegenseitigem Respekt geprägt. Doch dann kommt es zu eigenartigen Vorkommnissen auf ihren Apfelwiesen. Die Ernte, und somit ihre Existenz, steht auf dem Spiel. So geht sie auf den Vorschlag des Bürgermeisters ein und stellt ihren Hof als Drehort für einen Film zur Verfügung.

Der Regisseur entpuppt sich jedoch als gewalttätiger Säufer, und Bertl, ihr bester Freund seit Kindertagen, meldet plötzlich Besitzansprüche auf sie an. Schließlich tritt auch noch der Filmproduzent Chris Bergmann in ihr Leben, der Interesse an ihrem Hof und im Besonderen an den drei uralten Apfelbäumen vor dem Haus zu haben scheint. Weshalb interessiert er sich für die Geschichte ihrer Familie? Je näher Liesi dem attraktiven Mann kommt, umso verwirrter ist sie. Welches Geheimnis verbirgt er?

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Leseprobe
»Jetzt gib schon her!« Liesi streckte den Arm aus und ergriff ungeduldig den Schläger, den ihr der Caddie reichte. Sie wog ihn nachdenklich in der Hand, während ihr Blick in die Ferne schweifte. Dann stellte sie sich mit leicht gegrätschten Beinen in Position, schob den Schirm ihres Käppis ein wenig höher auf die Stirn, umfasste den Griff und schaute konzentriert nach unten. Vorsichtig, fast zärtlich, berührte sie den kleinen weißen Ball. Schließlich bewegte sie den Schläger wie ein Pendel vor und zurück, holte schwungvoll aus – und traf den Bertl zwischen den Beinen.
Er schrie auf und fiel nach hinten.
»Idiot!«, rief sie aus und sah auf das gestandene Mannsbild, das rücklings auf dem weichen Abschlag der fünften Bahn lag und nach Luft rang.
Jeder hätte jetzt in ihr eine unsensible Person vermutet, eine der Frauen, die sich um nichts und niemanden als sich selbst kümmerten. Davon gab es im Ort einige; aber wenn eine nicht dazugehörte, dann die Liesi Thaler. Nur zeigte sie ihre sensible Seite nicht. Nicht, weil sie nicht wollte, sondern da sie von klein auf gelernt hatte, dass sie mit einem Panzer besser dran war und problemloser durchs Leben kam. In diesem besonderen Moment jedoch, weil sie es nicht durfte.
Sie seufzte genervt, ließ den Schläger zu Boden fallen und streckte dem Bertl den Arm entgegen.
»Jetzt stell dich nicht so an. Steh auf!«
Wie ein Hirschkäfer lag er auf dem Rücken, eine Hand schützend über den Hosenstall haltend, kniff die Augen zusammen – er würde doch nicht weinen! – und presste die Lippen fest aufeinander. Dann schüttelte er den Kopf.
»Du bisch a Depp!«, zischte sie und wandte sich ab.
Der Caddie hielt ihr den Griff des Schlägers hin. Seine Anwesenheit war absolut überflüssig, aber zumindest war mittlerweile klar, dass er einfach nur den Mund halten und die Statistenrolle spielen sollte, für die er bezahlt wurde. Der Ball lag immer noch auf seinem Platz und wartete darauf, abgeschlagen zu werden. Trotzdem bückte sie sich, hob ihn an, legte ihn zurück und richtete sich wieder auf. Dabei fühlte sie sich schrecklich. Und lächerlich.
Je rascher sie vorankam, desto früher konnte sie diese Farce, die ihr der Bürgermeister aufs Auge gedrückt hatte, beenden.
Wie vorgesehen schaute sie kurz nach rechts, um sicherzugehen, dass sich nicht noch irgendein Mann an sie herangetraut hatte, holte aus – und schlug ab. Ihr Blick folgte dem Ball. Sie vermied es, sich irgendetwas anmerken zu lassen, und fingerte die Sonnenbrille aus dem freizügigen Ausschnitt, der ihr Dekolleté kaum verbarg, und setzte sie auf. Erst als ihre Augen hinter den verspiegelten Gläsern verschwunden waren und ihr Gesicht im Schatten des Käppi-Schirms lag, erlaubte sie sich ein ganz privates Schmunzeln, das die Fältchen in ihren Augenwinkeln vertiefte. Allerdings achtete sie peinlichst darauf, dass es ihre Mundwinkel nicht erreichte. Sie musste professionell bleiben, bis der Ball im Loch und somit ihre Aufgabe erledigt war.
Dieser blinde Abschlag der fünften Bahn verlangte jedem Spieler einiges an Präzision ab und war alles andere als einfach. Doch sie hatte es geschafft. Wie so oft, murmelte ihr Unterbewusstsein. Ja, ihr Abschlag war gut gewesen – trotz der absurden Umstände. Aber sie fühlte sich nur mies in dieser Aufmachung. Zudem spürte sie die Blicke auf ihren nackten Beinen und sorgte sich überdies um den Bertl, auch wenn man ihr vorher versichert hatte, dass sie ihn nicht ernsthaft verletzen konnte. Am liebsten würde sie kurz unterbrechen und sich vergewissern, dass es ihm gut ging – aber sie musste tun, was man von ihr erwartete, und nicht das, was sie wollte. Sie senkte den Kopf und betete sich vor, dass sie es machte, weil sie einen Batzen Geld dafür bekam. Und jeden einzelnen Euro davon brauchte sie dringend – für den Apfelhof.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging sie los. Sie wusste ohnehin, dass ihr alle folgten wie die Gläubigen dem Pfarrer bei der Palmsonntagsprozession. Innerlich stöhnte sie bei dem Gedanken, dass es genau das war, worauf ihre Freundinnen neidisch waren. Sie hingegen würde im Moment fast alles geben, wenn sie mit der Traudl und der Gitti tauschen könnte.

[…]


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