„Tod eines Wunderfitz‘: ein schwäbisch-bayrischer Krimi“ von Ruth M. Fuchs


Kehrwoche, Karpfen und Kommissare – ein Mord im Landkreis Tuttlingen

Quirin Kammermeier, Kriminalhauptkommissar mit niederbayerischem Charme und Lebensart, hat sich seinen ersten Tag in Tuttlingen ruhiger vorgestellt. Statt Einleben heißt es Ermitteln: Ein Angler zieht statt eines Hechts einen toten Rentner aus einem Fischteich. Das Opfer – ein notorischer Besserwisser mit zu viel Neugier und zu wenig Feingefühl – hatte mehr Feinde als Freunde.

An Quirins Seite: sein neuer Partner Akil Pillai, ein junger, pflichtbewusster Schwabe mit tamilischen Wurzeln und einer Leidenschaft für die schwäbische Küche, sowie ein dreiköpfiges Team. Gemeinsam tauchen sie ein in die Abgründe von Vereinsmeierei, Nachbarschaftsneid und Kehrwochendisziplin.

Ein Regionalkrimi mit Witz, Spannung und viel Lokalkolorit – und ein Ermittlerteam, das garantiert niemandem nach dem Mund redet.

Band 4 der Reihe „Quirins Mordfälle“.

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Kennenlernen: Ruth M. Fuchs

Leseprobe

Sieht ein wenig wie ein riesiger Werkzeugkasten aus Blech aus, dachte Hauptkommissar Quirin Kammermeier, als er das Gebäude betrachtete, in dem er künftig arbeiten sollte, aber man soll ein Buch ja nicht nach seinem Einband bewerten. Also, auf gehts, schauen wir mal, wie es von innen so aussieht.
Als er die Schleuse passiert hatte, schaute er sich um. Vor ihm führte eine Treppe nach oben, daneben war ein verglaster Lift. Überhaupt war alles Glas und Edelstahl. Nur die Tritte der Treppe waren aus hellem Holz. Ziemlich futuristisch, fand Quirin. Er entschied sich dafür, die Treppe zu nehmen. Ein bisschen Bewegung schadet ja nicht: Das Büro seiner neuen Chefin war in der obersten Etage.
Er fand die richtige Tür, klopfte und trat nach einem ‚Herein‘ ein. Das Büro war hell und für seinen Geschmack etwas zu warm. Mit den Pflanzen am Fenster sah es jedenfalls ganz angenehm aus. Als Quirin eintrat, war von besagter Chefin nichts zu sehen. Da stand lediglich eine Frau mit dem Rücken zu ihm an der Kaffeemaschine. Die war aber sicherlich viel zu jung mit ihrem Minirock und einem feuerroten Pferdeschwanz. Soweit Quirin wusste, musste seine Vorgesetzte um die sechzig sein. Die schlanke Frau vor ihm zählte wohl eher dreißig Jahre oder ein wenig mehr. Doch dann drehte sie sich um und Quirin blickte in ein Gesicht, das wesentlich älter war. Solariumgebräunt, schätzte Quirin mit einem Blick auf die ledrige Haut, mit zu viel schwarzem Kajal und noch mehr Wimperntusche. Aber, na ja, man soll ein Buch ja nicht nach seinem Einband bewerten, sagte Quirin sich einmal mehr.
„Guten Tag, ich bin Hauptkommissar Quirin Kammermeier“, stellte er sich vor. „Frau Roth?“
„Die bin ich. Schön, dass Sie so pünktlich sind.“ Frau Roth stellte einen vollen Kaffeebecher auf ihren Schreibtisch und setzte sich. „Oh, wollen Sie auch einen?“
„Nein danke, nicht im Moment.“
„Schön. Aber setzen Sie sich doch.“
Quirin setzte sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs, während seine künftige Chefin mit ihrer Maus, die links von der Tastatur lag, herum fuhrwerkte.
„Ach, ich bin das noch nicht gewöhnt …“, entschuldigte sie sich. „Ich bin ja eigentlich Rechtshänder, aber es soll besser für das Handgelenk sein, wenn man die Maus mit links benutzt … ah, da haben wir es!“ Sie lehnte sich zufrieden zurück. „Sie sind also aus Straubing in Niederbayern. Ihre Aufklärungsrate ist ausgezeichnet, wie ich sehe. Und jetzt wollen Sie also Baden-Württemberg auf Vordermann bringen?“
„Na ja, das ist vielleicht übertrieben …“
„Sie wissen, dass Ihre übergeordnete Dienststelle in Konstanz ist?“ Frau Roth schaute immer noch nur auf den Bildschirm.
„Ich war gestern dort …“ Quirin hatte den halben Tag bei der Kripo Konstanz verbracht.
„Es ist schön, dass wir die freie Stelle so schnell wieder besetzen konnten“, fuhr Frau Roth unbeirrt fort und wackelte ein wenig mit der Maus. „Himmel, jetzt ist die Akte weg. Ich hoffe, ich habe die jetzt nicht gelöscht.“ Sie zog die Augenbrauen zusammen und fuhrwerkte noch ein wenig mehr mit der Maus. „Ah“, rief sie dann erleichtert, „alles wieder da. Schön. Also, wie schon gesagt: Schön, dass Sie die Stelle hier so schnell genommen haben. Ihr Vorgänger ist zum Mutterhaus in Konstanz gewechselt. Nicht weil es ihm hier nicht gefallen hätte …“, Frau Roth hob den Kopf und schaute Quirin ernsthaft an, „es war eine Beförderung.“
„So hat man es mir in Konstanz erklärt“, nickte Quirin. Er war ein wenig irritiert, dass seine neue Chefin so sehr Wert auf den Grund des Wechsels legte. Leider hatte er keine Gelegenheit gehabt, seinen Vorgänger persönlich zu sprechen.
„Ach, hat man? Na, umso besser. Sie werden also hier ein Büro haben und zusammen mit ihrem Partner für alle Angelegenheiten im Landkreis Tuttlingen zuständig sein, die etwas mit Gewalt zu tun haben …“
„Ja, das ist in Bayern genauso.“
„Oh. Ach ja. Eigentlich sollten Ihr Partner und der Staatsanwalt inzwischen hier sein. Ich wollte sie Ihnen vorstellen …“ Frau Roth blickte hoffnungsvoll zur Tür, die aber stur geschlossen blieb. „Tja, also …“, auch ein weiterer Blick änderte nichts daran, dass die Tür sich nicht öffnete. „Dann zeige ich Ihnen am besten Ihr Büro und …“
Es klopfte.
„Herein!“, rief Frau Roth sichtlich erleichtert.
Die Tür ging auf, und herein kam ein dunkelhäutiger Mann mit schwarzem Haar und einem kleinen Schnurrbart. Anfang dreißig, schätzte Quirin, sieht ganz nett aus. Sympathische dunkelbraune Augen. Wenn das mein neuer Kollege ist, hab ich’s gut getroffen.
„Grüßgottle“, begrüßte der Neuankömmling Frau Roth und Quirin fröhlich. „Tut mir leid, dass ich z’spät dran bin.“
„Ja, Sie hätten schon vor zwanzig Minuten da sein sollen“, tadelte Frau Roth. „Herr Kammermeier …“, wandte sie sich an Quirin, „das ist Kriminalkommissar Akil Pillai, mit dem Sie künftig zusammenarbeiten werden.“
„Sehr erfreut“, Quirin sprang auf und streckte dem Neuankömmling die Hand hin, „Quirin.“
„Akil.“ Sein neuer Partner schüttelte Quirins Hand kräftig, wobei er mit einem Grinsen zu Quirin aufsah. Er reichte ihm knapp bis zur Nase.
„Am besten führen Sie Herrn Kammermeier gleich herum und zeigen ihm auch sein Büro“, empfahl Frau Roth.
Doch Akil Pillai schüttelte den Kopf.
„Das muss warten. Mir hend ä Leich.“
„Wie bitte?“ Frau Roth riss die Augen auf.
„Draußen bei Dürbä hend se einen aus ‘m Fischweiher ‘zogen.“
„Und wieso erfahre ich das nicht als Erste?“ Frau Roth schüttelte so ungehalten den Kopf, dass der Pferdeschwanz hin und her wippte. „Also, das geht ja gar nicht!“
„Ich war grad in der Zentrale, als der Anruf gemeldet wurde. Die Mail mit dem Gesprächsprotokoll sollten Sie inzwischen haben. Aber nachdem mein Kollege, also Quirin, und ich ja eh sozusagen frei sind, hab ich mir gedacht, mir schau’n uns das gleich mal an.“ Akil zuckte unbekümmert die Schultern. Dass seine Chefin so wenig begeistert von seinem Vorgehen war, schien ihn wenig zu stören. „Den Staatsanwalt hab ich auch gleich informiert. Er meinte, er wär eh in der Gegend und trifft uns am Weiher.“
„Es ist ja wohl meine Aufgabe, Herrn Zepf zu informieren“, stellte Frau Roth eisig fest. „Also, das geht ja gar nicht. Ich habe erst letzte Woche eine Mail an alle geschickt, dass solche Dinge immer über den Vorgesetzten zu laufen haben.“
„Vergessen. Des isch mir jetz arg. Aber ich kenn den Zepf halt recht gut. Na jedenfalls, wir sollten erst mal da hinfahren.“
„Das sollten Sie wohl.“ Frau Roth machte eine abschließende Handbewegung. „Aber in Zukunft halten Sie bitte den Dienstweg ein. Ich habe Ihnen allen doch erst vor Kurzem eine Mail dazu geschickt. Also wirklich. Einfach über meinen Kopf hinweg … das geht ja gar nicht.“

„Können wir deinen Wagen nehmen?“, wollte Akil wissen, als er und Quirin die Treppen hinunterstiegen. „Meiner ischt in der Werkstatt.“
„Klar“, nickte Quirin. „Du musst mir nur sagen, wohin ich fahren soll.“
„Erst mal Richtung Wurmlingen, aber dran vorbei. Durch Weilä nach Rietä und da an der Bahnhofstraße rechts Richtung Dürbä und dann links auf’n Parkplatz vom Weiher …“
„Wurmlingen kenne ich, aber Weilä? Davon hab ich noch nie gehört.“
Akil blieb einen Moment stehen. Dann lachte er.
„Stimmt, du bischt ja ein Ausländer. Also: durch Weilheim durch, in Rietheim rechts, dann hinterm Ort kurz vor …“
„Dürbheim?“
„Heidanei, du bischt ä echtes Käpsele! Das ist recht. Äh, wahrscheinlich muss ich erklären …“
„Ich weiß, was ein Käpsele ist, ein Blitzmerker!“ Quirin warf seinem Partner einen amüsierten Blick über das Autodach zu. „Mein Mann hat mich schon mal so genannt.“
„Ein guter Anfang“, lachte Akil und stieg ein. „Wir müssen doch einen g’scheiten Schwaben aus dir machen.“
„Ein Bekannter hat mir erklärt, er wohnt seit vierzig Jahren hier und wird von den Tuttlingern immer noch als Reing’schmeckter angesehen“, widersprach Quirin, während er den Motor anließ.
„Na ja, das darf man nicht so eng seh’n.“ Akil zuckte mit den Schultern. „Mir Schwaben sind halt a bissle eigen.“
Quirin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Akil mit seinem Namen und Aussehen fiel bestimmt nicht unter die Kategorie ‚Typischer Schwabe‘. Der eine oder andere seiner Vorfahren war bestimmt kein Schwabe gewesen – vielleicht Inder? Aber das war jetzt nicht so wichtig.
„Was wissen wir über die Leiche?“, fragte er stattdessen.
„Ein Herr Rieger war mit einem Freund beim Angeln am Dürbheimer Fischweiher. Da hat er den Körper an den Haken kriegt und hat ihn raus’zogen. Hat wohl erst denkt, er hätt einen Riesenfisch an der Angel. Und dann war der Schreck groß. Immerhin war er so schlau, gleich den Notruf zu wählen, und dann sind zwei Streifenbeamte hin g’fahren und hab’n g’sehen, dass es tatsächlich ein Mensch ist, den der Rieger da geangelt hat. Die haben dann uns verständigt.“

Der Dürbheimer Fischteich lag ein wenig versteckt ab von der Straße hinter einer Hecke. Akil dirigierte Quirin auf einen Parkplatz, der bereits ziemlich voll war. Neben zwei Streifenwagen standen dort drei Pkws, ein Einsatzwagen des DRK und ein großer Lieferwagen mit offenen Hecktüren. Ein Teil des Ufers war bereits mit weiß-gelbem Flatterband abgesperrt, und einige Polizisten standen dabei, um zu verhindern, dass Unbefugte trotzdem durchkamen. Die Spurensicherung in den typischen weißen Overalls war bei der Arbeit. Ein Fotograf tänzelte eifrig knipsend um den Körper eines Mannes herum, der auf dem Rücken am Ufer lag, die Beine noch im Wasser.
Zwei Männer vom DRK traten zu Quirin und Akil.
„Wir sind gleich hergefahren“, sagte der eine und strich sich den Schnurrbart, „aber der war schon jenseits von Gut und Böse. Nichts mehr zu machen.“
„Wir haben schon den Bestatter angerufen“, meinte der andere. „Also, geht mich ja nichts an, aber der Mann da sieht nicht aus, als wär er ertrunken. Lang im Wasser liegt er auch noch nicht. Auf den ersten Blick gibt’s noch keine Verwesung – keine Blasen, keine Hautablösung. Die Fische haben den Körper anscheinend auch noch nicht angeknabbert. Aber da kümmert sich euer Forensiker drum.“
„Ist der noch gar nicht vor Ort?“, wunderte sich Quirin. „In Bayern ist das eigentlich üblich.“
„Neu hier? Aus Bayern? Na ja, andere Länder, andere Sitten.“ Der Schnurrbärtige verzog amüsiert den Mund und nickte dann seinem Kollegen zu.
„Also, wir packen’s wieder“, verabschiedete sich der.
„Wo ist die Forensik eigentlich?“, erkundigte sich Quirin bei Akil.
„In Freiburg“, antwortete der.
„Freiburg?“
„Au net grad der nächschte Weg, schtimmt.“

[…]


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