„Reden ist Silber, Schweigen bringt Tod“ von Heidi Troi

Link verdient Provisionen

Ein Geheimnis. Eine Mordserie. Ein schweigendes Dorf.

„Wie unsichtbare Masken tragen sie ihre Gleichgültigkeit vor sich her, mustern mich beinahe feindselig, als hätte ich ihr Unglück zu verantworten. Da ist sie wieder, diese Mauer.“

Maresciallo Pietro Carminati wird in ein kleines Dorf in einem engen Tal versetzt. Vierzig Jahre lang war dort Ruhe, aber bereits am Tag seiner Ankunft liegt der Dorfsäufer Sepp tot im Bach. Alles sieht nach einem Unfall aus. Doch als tags drauf ein Bauer an ein Marterl geflochten tot aufgefunden wird, ist klar: Ein Mörder treibt sein Unwesen im Tal. Mithilfe des Pfarrers der kleinen Gemeinde versucht Carminati Licht in das Dunkel zu bringen, doch mit wem er auch redet, er stößt auf eine Mauer des Schweigens. Und dann passiert der nächste Mord.

Handelt es sich um religiös motivierte Bluttaten? Was hat es mit dem plötzlichen Verschwinden des Bauern vom Moarhof auf sich? Und wieso liegt bei allen Toten dieses Sträußchen Vergissmeinnicht?

Carminati versucht, den Fall zu lösen, doch auch sein Leben gerät aus den Fugen.

Dieses Buch ist eine Neuauflage des 2022 im Empire Verlag erschienenen Krimis „Marterlmord“.

Einkaufen: Kindle | Taschenbuch | Hörbuch
Kennenlernen: Heidi Troi

Leseprobe

Bald ist es dein Reich


›Militärgebiet. Unpassierbare Grenze – Zona militare. Limite invalicabile‹ steht auf dem Schild am Maschendraht. Ich lasse den Blick am Zaun entlangwandern bis zum nächsten Schild, auf dem derselbe Hinweis steht. Hinter der ›unpassierbaren Grenze‹: ein Meter Unkraut und dann die Carabinieristation Tal-Valle, die für die nächste Zeit mein Arbeits- und Wohnort sein wird. Das schäbigste Haus in einem Dorf, in dem alles schäbig ist.

»Unpassierbare Grenze«, wiederhole ich leise für mich.

Salvatore, mein Vorgänger als Dorfcarabiniere, hört es trotzdem. »Im wahrsten Sinne des Wortes«, sagt er.

Beinahe vierzig Jahre hat er hier in der Fremde ausgeharrt unter diesen Deutschen, die ihn nie bei sich aufgenommen haben. Den Karpf nennen sie ihn hinter seinem Rücken oder den Walschen.

Er seufzt. »In vierzig Jahren hat keiner von denen einen Fuß in dieses Haus gesetzt.«

Ich wende mich ihm zu. »Weil kein Verbrechen passiert ist?«

»Die brauchen keine Ordnungshüter. Was denen passiert, machen sie untereinander aus.« Ihm ist anzusehen, dass er froh ist, diesem Nest den Rücken kehren zu können. Für ihn geht’s heim nach Sardinien. Ich bin jetzt schon neidisch.

Ich lasse den Blick umherschweifen. Ein verschlafenes Dörfchen also. Ein paar graue Häuser scharen sich hinter einer Haarnadelkurve um eine ebenso graue Kirche. Steile Hänge, bis zur Baumgrenze von Wald überzogen, und ein Wildbach, der sich rauschend seinen Weg durch das Tal gräbt. Schiefergraue Wolken hängen drückend über dem Tal, verhindern, dass die schwüle Hitze des Julitags entweichen kann. Dreihundert Seelen hat das Dorf, habe ich bei meiner Recherche ermittelt. Wo all die Leute leben, werde ich wohl noch herausfinden. Schließlich gebe ich mir einen Ruck.

»Dann los, zeig mir dein Reich.« Ich deute auf die grüne Resopaltür, von der schon die Farbe abblättert.

»Bald ist es dein Reich.« Er sperrt auf. Die Angeln geben ein deutliches Quietschen von sich, als die Tür zurückschwingt.

Er lässt mir den Vortritt. Der erste Eindruck ist niederschmetternd. Das Haus wirkt, als sei es seit Langem unbewohnt. Die nackte Glühbirne, die von der Decke baumelt, bringt kaum Licht in den dunklen Flur. Es riecht nach Schimmel.

»Das Büro ist gleich hier.« Er öffnet eine weitere Resopaltür, bei der die Dekorplatte am unteren Rand ausgefranst ist, und deutet der Reihe nach auf ein paar Geräte. »PC, Kopiermaschine, Fax, Modem …«

Ich sehe ihn ungläubig an, als ich ein 56K-Modem erkenne.
Er zuckt gleichgültig die Schultern. »Ist so. Glasfaser hat’s noch nicht ins Tal geschafft und ich sag’s dir gleich: Für Handyempfang musst du aus dem Tal raus oder auf den Berg.«

Ein Blick auf das Display meines Mobiltelefons bestätigt Salvatores Behauptung. Wo bin ich hier nur gelandet?

Als hätte Salvatore meine Gedanken verstanden, nickt er. »Jemand da oben muss dich ganz fest lieb haben«, sagt er, bevor er die Tür wieder schließt und mir Küche und Wohnraum zeigt.

Ich denke kurz an Generale Ravasio, Beatrices Vater, und seine Reaktion auf die Bekanntgabe unserer Verlobung auf einer Familienfeier. Ja, ich habe eine Ahnung, wem ich diese Versetzung zu verdanken habe. Aber unsere Liebe wird auch diesem Sturm standhalten. Ich gestatte mir ein paar wehmütige Gedanken an meine Verlobte, während ich meinem Vorgänger ins obere Stockwerk zu den Schlafräumen folge. Salvatores Schlafzimmer schaut noch am besten aus. Bett, Einbauschrank und Schreibtisch passen zusammen, ein bequem aussehender Ohrensessel mit Blick auf einen ordentlichen Fernseher lässt beinahe so was wie Gemütlichkeit entstehen.

Doch Salvatore zerstört mein kleines bisschen Hoffnung sofort. »Die Möbel nehm ich mit. Übermorgen kommt die Umzugsfirma und bringt alles weg.« Er grinst. »Mein letzter Arbeitstag.«

Dann zeigt er mir das Gästezimmer und ich schlucke. Ein Metallbett, drauf eine dünne Seegrasmatratze. Ich beschließe, möglichst schnell ein Möbelhaus aufzusuchen.

»Sei froh, dass ich im Schlafzimmer neue Fenster habe machen lassen«, sagt Salvatore ungerührt. »Im Winter hat‘s vorher eisig kalt hereingezogen. Dagegen ist keine Heizung angekommen.«

Ich schlucke noch einmal. Während wir zurück ins Büro gehen, straffe ich mich. Das ist mein Job und ich werde ihn erledigen, so gut es geht. Dann werde ich irgendwann wieder versetzt. In die Hauptstadt oder in meine Heimatstadt Bergamo. Ich werde in Ehren heimkehren, meine Beatrice heiraten und mein Schwiegervater, der Generale Ravasio, kann mich kreuzweise.

Ich ignoriere Salvatores mitleidigen Blick, atme durch. »Was sind meine Aufgaben?«

»Die Mails aus der Zentrale archivieren, bei Prozessionen den Verkehr aufhalten und der Colonello erwartet wöchentlich einen Bericht. Unter ›Papierkram‹ hab ich eine Vorlage abgespeichert, die ich immer ein bisschen umwandle. Und täglich um neun kommt die Repubblica.«

Der Computer gibt ein »Bling« von sich und Salvatore grinst mich an. »Das ist die Erinnerung an die gesetzlich vorgeschriebene Kaffeepause um zehn.«

Wieder schlucke ich. So hatte ich mir meinen Traumjob nicht vorgestellt.

»Caffè?« Salvatore wartet meine Antwort gar nicht ab, sondern schiebt sich an mir vorbei in die Küche. Wenig später stellt er mir einen Espresso hin. Zumindest der Kaffee schmeckt, wie es sich gehört. Mit dem ersten Schluck breitet sich Ruhe in meinem Körper aus.

Salvatore setzt zum Sprechen an, doch ich unterbreche ihn.
»Lass mich raten: Die Mokkamaschine nimmst du auch mit?«

Bevor er antworten kann, läutet das Telefon.

Einmal. Zweimal. Dreimal.

»Willst du nicht rangehen?«, frage ich.

»Wenn’s wichtig ist, versucht er’s noch mal.«

Wir nippen an unseren Espressi. Das Telefon verstummt. Dann hebt das Läuten wieder an.

»Scheint wichtig zu sein«, sage ich.

»Tja.«

»Willst du nicht rangehen?«

»Dein Job.« Salvatore grinst, nippt an seinem Kaffee. Dann lehnt er sich zurück und atmet entspannt durch.

Genervt stemme ich mich hoch, finde das Büro und dort das Telefon, Marke SIP vor der Jahrtausendwende. »Pronto?«

»Oh.« Der Anrufer klingt beinahe erschrocken.

»Sì?«

»Carabinieri?«

»Sì.«

Dann ein Seufzer, der Anrufer setzt zum Sprechen an, stockt wieder, setzt wieder an. Ich ahne, was das Problem ist, und baue ihm eine Brücke. »Sie können auch Deutsch sprechen. Nur bitte langsam.«

Ich weiß um die Barriere in diesem mehrsprachigen Land. Um die Ängste der drei hier lebenden Sprachgruppen, die jeweils anderen Sprachen zu benutzen. Nicht dass sie es nicht könnten. Sie können ihre Zweit- und Drittsprache gut genug, um sich darin verständlich auszudrücken. Aber sie haben einen Perfektionsanspruch, verlangen von sich selbst, dass sie akzentfrei sprechen. Ich nicht. Ich bin aus Bergamo. Mein Deutsch habe ich im Abendkurs einer Volkshochschule gelernt, als klar war, wohin ich versetzt werde.

Der Anrufer atmet erleichtert aus. »Wir haben einen Toten gefunden. Im Bach.«


[…]


Entdecke mehr von Buch-Sonar

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar