„Morgenrot des Aufbruchs“ von Ira Habermeyer

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Vilnius 1983: Rasa macht sich mit einem ihrer ersten Undercover-Einsätze verdient und erklimmt dank General Rutkus‘ Gunst die Karriereleiter beim Geheimdienst KGB. Doch über ihr Glück mit Valdas legt sich ein Schatten und stellt die Beziehung der beiden auf eine harte Probe: Aus Angst, seinen Posten als Direktor des Kombinats Elektronika zu verlieren, scheut er davor zurück, sich von seiner Frau Rūta scheiden zu lassen.

Ein riskanter Auftrag, einen Landsmann als britischen Agenten zu entlarven, der von London aus eine konspirative Untergrundgruppe unterstützt, bringt Rasa an ihre Grenzen. Wird es ihr gelingen, sich aus den Verstrickungen zu lösen, während sie nach Ruhm und Einfluss strebt?

Schließlich zieht Mitte der 1980er Jahre Michail Gorbatschow im fernen Moskauer Kreml ein, und seine Reformen erwecken zarte Hoffnungen auf Veränderung und Freiheit …

Leserstimmen: »Ein Buch wie die ganz großen Filmklassiker, bei denen man in den ersten Minuten schon weiß, dass hier etwas ganz Großes erzählt wird.« »Litauen zur Zeit der Sowjetunion, sowie Kalter Krieg und Liebe – eine Mischung, die hier sehr prekär sein kann.«

Staffel 2 der Eis und Bernstein-Saga

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Kennenlernen: Ira Habermeyer

Leseprobe

Vilnius, Oktober 1983
Aus den Kopfhörern schallten die Stimmen der beiden Jungen in Rasas Ohren. Währenddessen versuchte sie, still Kontakt mit Jonas aufzunehmen. Bitte sei nicht mehr gekränkt, sandte sie ihm mit einem Wimpernschlag zu. Der Schmerz, ihn als Freund zu verlieren, brachte sie an die Grenze zum Heulen. Nur mit Disziplin zwang sie ihre Tränen mit einem Blinzeln zurück. Ich würde dich noch mehr verletzen, wenn ich vorgäbe, dich so zu lieben, wie ich Valdas liebe. Am liebsten würde sie Jonas an der Schulter packen und durchschütteln, damit er wieder zur Besinnung kam. Seit mehr als einer Woche beschränkten sich ihre Unterhaltungen nur auf das Nötigste, und Jonas blieb so formell wie er vor ihr als Vorgesetzten sein musste. Dienst nach Vorschrift, nannte man das.
»Ich gehe nochmal an die frische Luft«, sagte Kudirka, nachdem seine Söhne das Wohnzimmer verlassen hatten.
Augenblicklich fuhr ein Ruck durch Rasas Körper. Sie straffte die Schultern, rutschte an die Kante des Stuhls. »Hörst du das?«, flüsterte sie Jonas zu.
Endlich sah er ihr direkt in die Augen. »Hm«, machte er verschnupft.
»Unternimmst du einen deiner abendlichen Spaziergänge?«, fragte die Frau, räumte geräuschvoll den Tisch ab.
»Ich sagte nur, ich muss einmal Luft schnappen«, antwortete Kudirka, stand hörbar auf. »Es ist auch ziemlich warm in der Wohnung.«
»Findest du?«
Schritte knarzten auf den Dielen. Er nahm wohl gerade seinen Mantel von der Garderobe.
»Ich gehe«, sagte Rasa entschieden, erhob sich.
»Zu Befehl, Genossin Kapitonė«, erwiderte Jonas knapp.
Im Flur schlüpfte sie in ihre Stiefel, legte den Holster mit der Makarow an, auf deren Lauf der Schalldämpfer geschraubt war, und warf ihren Mantel darüber. Sie schob die Mikrokamera in die Tasche. Mit angehaltenem Atem lauschte sie ins Treppenhaus. Damit Kudirka keinen Verdacht schöpfte, ließ sie ihm so viel Vorsprung, dass er die Haustür erreichte. Als sie das Quietschen der Tür hörte, verließ sie die die Wohnung.
Ein Hauch von Schnee wehte Rasa mit der eisigen Luft entgegen, als sie auf den Gehsteig trat. Wie erstarrt hingen die roten Flaggen zum bevorstehenden Feiertag der Oktoberrevolution an der Fassade, überzogen von feinen Frostkristallen. Im Lichtkegel der Laterne sah sie, wie Kudirka, die Hände in die Manteltaschen vergraben und die Schirmmütze tief in die Stirn gezogen, in einen Durchgang zwischen den Wohnblocks abbog. Rasa folgte ihm auf Abstand. Zwei Mädchen, die einen Hund an der Leine führten, kamen ihr entgegen. Kudirka lief den gepflasterten Weg entlang durch einen kleinen Park. Dahinter erhoben sich schemenhaft der Zaun des Basketballfelds und die Rutschen und Schaukeln des Spielplatzes. Sie verlangsamte ihre Schritte, wich auf die Rasenfläche aus, damit sie sich nicht mit dem Klappern ihrer niedrigen Absätze verriet.
Als wartete er dort auf jemanden, schlenderte Kudirka neben dem Basketballplatz. Rasa drängte sich dicht an den zusammengewachsenen Stämmen einer Birke, spähte zu dem Mann. Bisher hatte er sie noch nicht bemerkt. Er bewegte seinen Ellenbogen, als blickte er auf die Uhr, wippte angespannt mit den Beinen. Scheinwerfer streiften das schüttere Gebüsch, scharf traten die Umrisse der Zweige und der einzelnen Blätter hervor. Das Lichterpaar brannte weiter, obwohl der Fahrer ausstieg. Kudirka hielt in der Bewegung inne, als dumpf eine Tür zuschlug. Zaghaft bewegte er sich auf das parkende Auto zu. Ein Mann in hellem Mantel und mit einer Uschanka auf dem Kopf kam auf ihn zu. Wie elektrisiert lauschte Rasa, was die beiden sprachen. Dem Klang der Vokale nach war es Englisch. Mit der Kamera in der Hand pirschte sie um den Birkenstamm, drückte in dem Augenblick den Auslöser, als Kudirka einen Umschlag unter seinem Mantel hervornestelte und ihn dem Mann überreichte.
»Thank you, Mister Kudirka. Great job.« Das knarrende Englisch klang eindeutig nach einem Amerikaner. Er gehörte sicher der CIA an.
Rasa schlich einen Schritt näher, um eine schärfere Aufnahme zu schießen, da knackte ein Zweig unter ihrer Sohle. Sofort zuckte sie zusammen, verbarg sich hinter der doppelten Birke und atmete lautlos ein. Ihr Herz galoppierte vor Aufregung und vor Angst, entdeckt zu werden. Bestimmt war der Amerikaner ebenfalls bewaffnet. Eine Schießerei und dabei verwundet zu werden oder gar draufzugehen, konnte sie am allerwenigsten gebrauchen.
Die beiden Männer hielten inne. Wahrscheinlich horchte der Amerikaner in die Stille, während er sich Rasa gefährlich näherte.

[…]


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