„Ihr Kinderlein kommet“ von Mark Franley


Hochspannung lesen … der härteste Fall für David Bender und Catharina Adler

Es ist kalt, dunkel und einsam. Ohne Erinnerung erwacht Sebastian irgendwo im Nirgendwo. Umgeben von schwedischen Wäldern fehlt von seiner Freundin Jasmin jede Spur. Seine Kleidung und seine Hände sind mit Blut überzogen.

Während die örtliche Polizei davon ausgeht, dass er etwas mit Jasmins Verschwinden zu tun hat, glauben Sebastians Eltern an die Unschuld ihres Sohnes. Dieser liegt allerdings im Krankenhaus im Koma und kann keine Aussage machen. Um ihn zu entlasten, beauftragen seine Eltern die Privatermittler David Bender und Catharina Adler mit der Suche nach ihrer zukünftigen Schwiegertochter. Doch den beiden wird schnell bewusst, vor welcher Aufgabe sie stehen. Wie soll man in diesem riesigen, dünn besiedelten Land die Nadel im Heuhaufen finden? Trotz aller Widrigkeiten brechen die beiden mit ihrem Wohnmobil zu einem Roadtrip auf, der sie an ihre Grenzen bringt. Nicht nur der heftige Wintereinbruch macht ihnen zu schaffen – auch das Verbrechen selbst lässt ihnen das Blut in den Adern gefrieren.

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Kennenlernen: Mark Franley

Leseprobe

Sebastian fehlte jegliche Erinnerung an die letzten Stunden oder vielleicht auch Tage. Die Luft war eisig und durch eine Lücke in dem maroden Holzdach konnte er die Sterne sehen. Tausende, wenn nicht Millionen von Himmelskörpern, denen er völlig egal war.
Er war gerannt, so viel wusste er. Es war eine Flucht, doch vor wem oder was wusste er nicht. An seinen Händen und Teilen seiner Kleidung klebte getrocknetes Blut. Er zog die dicken Handschuhe einfach darüber, was an dem schmutzigen Gefühl nichts änderte. Von wem es stammte und ob es vielleicht sogar Jasmins Blut war, entzog sich seiner Erinnerung. Jasmin war verschwunden. War er dafür verantwortlich?
Ein Gefühl der Einsamkeit überschwemmte ihn und dass es in dem nächtlichen Wald durchaus Leben gab, machte es nicht besser. Ständig knackten irgendwo Äste, raschelte welkes tiefgefrorenes Laub und nachtaktive Vögel stießen kehlige Laute aus. Die alte halb verfallene Schutzhütte bot vor nichts mehr Schutz. Nicht vor der Kälte, den Tieren oder seiner eigenen Angst.
Du musst weiter, hallte es durch seinen Kopf, denn seine Instinkte waren das Einzige, was noch funktionierte.
Bis jetzt lag er einfach auf dem Rücken, was der Kälte eine riesige Angriffsfläche bot und ihn auskühlen ließ. Sebastian stemmte sich in eine sitzende Position, bewegte seine Gliedmaßen und brachte so etwas Leben in den steifen Körper. Eigentlich kannte er sich mit Überlebensstrategien aus, doch grau war jede Theorie.
Nach einer Weile stand er auf, musste sich aber an einem der Holzbalken festhalten. Dann trat er wieder hinaus in den Wald, in dem es keinerlei Orientierungshilfen gab. Sein Blick ging hoch zu den Baumwipfeln und daran vorbei. Die Sterne waren seine einzige Chance, nicht im Kreis zu laufen, aber dazu brauchte er einen Fixpunkt, dessen Zugbahn er kannte.
Links von ihm fiel das Gelände ab und von dort kam er her. Rechts stieg es an, wurde schroffer, und im Zwielicht der Nacht konnte er eine kleine Freifläche erkennen.
Die kurze Pause in den Resten der Schutzhütte dankte ihm sein Körper mit steifen Muskeln und tauben Füßen. Er ging langsam los und mit jedem Schritt wurde es etwas besser. Zwei-, dreimal verlor er den Halt, stolperte und schaffte es nur mit Mühe wieder in den Stand zurück. Er quälte sich weiter den Berg hinauf, erreichte die von losen Felsbrocken übersäte Ebene und musste erst einmal zu Atem kommen.
Wieder sah er hoch zum Himmel und erinnerte sich kurz daran, dass es genau solche Eindrücke waren, die Jasmin und er hier zusammen erleben wollten. Und noch etwas kam ihm in den Sinn. Es war ein kurzer, heftiger Streit gewesen. Um was es ging und wie er endete, wusste er allerdings nicht mehr. Und jetzt befand er sich irgendwo im Nirgendwo, hatte Blut an den Händen und war vermutlich kurz davor zu erfrieren.
Sebastian wischte sich die Tränen aus den Augen, folgte mit seinem Blick der Milchstraße und fand, wonach er suchte. Der Polarstern leuchtete heller als alle anderen und hatte schon viele Reisende an ihr Ziel gebracht.
Das Denken fiel Sebastian schwer, aber er konnte trotzdem noch etwas von seinem Wissen abrufen. Und so zog er im Geist eine imaginäre Linie zwischen sich und dem Stern, die über Wälder und Hügel führte. Es gab nicht viele markante Orientierungspunkte, aber eine kleine Felsspitze und eine weit entfernte Lichtung sollten ihm dabei helfen, auf dem richtigen Weg zu bleiben.
Die Felsspitze war zwar ein weithin sichtbares Ziel, doch in Senken würde sie trotzdem nicht sichtbar sein. Also musste er, um dort hinzukommen, die Strecke in noch kleinere Abschnitte unterteilen. Er suchte und fand in etwa hundert Meter Entfernung eine etwas höhere Tanne, die auf der Linie stand, und ging los.
Zwischen den ersten Bäumen verlor das wenige Licht seine Kraft. Hier bestand die Welt nur aus Schatten und Geräuschen. Der kleinste Windzug wirkte wie der Atem des Todes, der nur darauf wartete, dass er sich ihm hingab.
Sebastian drückte die aufkommende Panik zurück, setzte einen Schritt vor den anderen und spürte bei jedem Einzelnen, wie es ihn auszehrte. An seine letzte Mahlzeit konnte er sich ebenso wenig erinnern wie an alles andere.
Kurz vor der hohen Tanne setzte ein Geräusch ein, das er zunächst nicht zuordnen konnte, dann versank sein Fuß in einer laubbedeckten Mulde. Er stolperte nach vorne, fing sich mit seiner Hand ab und spürte, wie Wasser in Sekundenschnelle in seinen Handschuh lief. Ohne seine schützende Wirkung war das Kleidungsstück nutzlos geworden. Doch das war im Moment nur zweitrangig. Er ließ sich neben dem Bach auf den Boden sinken, zog den zweiten trockenen Handschuh aus und brach das dünne Eis auf. Dann kannte sein Durst kein Halten mehr. Das Wasser war kalt und schmeckte köstlicher als alles, was er in seinem bisherigen Leben getrunken hatte.
Nachdem er sich einige Handvoll in den Mund geschaufelt hatte, lehnte er sich zurück und genoss den Augenblick. Sein Durst war gestillt und für einige Sekunden kehrte die Zuversicht zurück. Dann begann es mit einem leichten Ziehen und steigerte sich schnell zu Magenkrämpfen, die ihn noch näher an seine eigenen Grenzen brachten. Sein Körper befahl ihm, die Beine anzuziehen. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere und schrie seinen Schmerz in die Dunkelheit. Trotz der Kälte lief ihm bald der Schweiß über die Stirn und brannte in seinen Augen. Wenn das der nahe Tod war, sollte er ihn doch endlich holen. Sebastian hätte ihn in diesen Momenten willkommen geheißen.

[…]


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