Ich bin Malu die kleine Fledermaus. Mit meinen Freunden lerne ich im Schauplatz der wunderschönen Natur viele neue Weggefährten kennen, mit denen wir zu Herzen gehende Geschichten erleben. Wagt es, taucht mit uns in die fantastische Welt des Lebens, die, wenn sie auch oft nicht so erscheint, doch viele schöne Augenblicke beherbergt, man muss sie nur mit offenen Herzen sehen.
Die Episoden der Malu-Serie können unabhängig von der Reihenfolge gelesen werden. Ein Zusammenschnitt von elf Geschichten aus allen drei Büchern ist als Hörbuch „Malu – Geschichten für die Seele“ erhältlich.
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Kennenlernen: Regine Sonnleitner
Leseprobe
Aus „Malu – Stimmen des Lebens“ – Tränen sind Regentropfen
Malu, die Fledermaus sah sich um und entdeckte unterhalb der Klippen einen kleinen Überhang. Es sah aus, als wäre dort der Eingang in eine Höhle. „Sophia lass uns dorthin fliegen, da sind wir etwas geschützt, können jedoch alles beobachten.“
Sie flatterten beide zu dem Überhang und flogen hinein. Plötzlich schrie etwas auf. „Hilfe, was ist das?“ Malu erschrickte und flog gegen den Fels. Bumm, er stürzte ab und lag, die Flügel weit von sich gestreckt, im Sand auf dem Boden. Er schüttelte sich und setzte sich auf.
„Boah, was für ne Bruchlandung, wer hat hier so geschrien?“
Sophia, die Eule landete leise neben ihm. „Ich glaube, wir sind hier nicht alleine.“
Malu sah sich um, in der gegenüberliegenden Ecke kauerte ein kleiner Junge. Er zitterte und hatte sein Gesicht mit den Händen bedeckt. Malu kroch näher.
„Hey, du brauchst keine Angst vor uns zu haben, wir tun dir bestimmt nichts. Ich bin Malu und das ist Sophia. Sag uns, was machst du im Dunkeln hier alleine und noch bei dem Wetter?“
Der Junge blickte auf. „Hallo ich bin Felix und ich sitze einfach so hier rum.“
Malu gluckste. „Das glaub ich dir nicht, keiner sitzt einfach so hier rum bei dem Wetter und schon gar nicht ein kleiner Junge.“
Sophia legte den Kopf schief. „Mal ganz ehrlich, Felix, ich denke mir, du bist ausgebüxt oder du hast dich verlaufen. Sicher sucht man dich schon.“
Felix grummelte. „Ach, ihr wisst gar nichts, es ist alles total doof.“
„Erzähl uns doch mal, was doof ist und wir sagen dir dann, ob du recht hast“, sagte Malu.
Felix überlegte „Naja, bei dem Wetter kann ich jetzt eh nicht weg, also kann ich auch mit euch reden. Alles ist doof, naja, fast alles. Wir machen hier Urlaub in einem kleinen Häuschen oberhalb der Klippen. Es fing schon heute Morgen an, ich stand auf und es regnete, dabei wollten wir im Meer schwimmen gehen. Papa sagte, wir machen es uns einfach im Haus bequem. Das fand ich total doof, da hab ich das Meer vor der Tür und soll im Haus bleiben. Also zog ich mir ne Jacke an und ging raus. Papa meinte wieder, es sei zu gefährlich, und holte mich wieder rein. Ich war so frustriert, dass mir Tränen aus den Augen liefen. Daraufhin sagte mein Vater, Jungen weinen nicht. Das frustrierte mich noch mehr, denn ich konnte nix dagegen tun, die Tränen liefen einfach. Ich ging in mein Zimmer, schaute zum Fenster raus und bekam einfach nur den Drang, rauszugehen. Als Mama und Papa sich für ein Stündchen hinlegten, schlich ich mich durch die Tür. Ich lief lange am Strand lang und dachte darüber nach, was Papa zu mir sagte. Irgendwann merkte ich, dass es immer mehr regnete und ich krabbelte in diese Höhle. Bin wohl eingeschlafen. Tja, und nun komm ich im Augenblick nicht zurück, denn im Dunkeln ist es zu gefährlich.“
Sophia schüttelte den Kopf. „Ok, das habe ich alles verstanden, doch warum bist du eigentlich rausgelaufen, was war das für ein Drang, der dich nach draußen zog?“
Felix schniefte. „Papa sagte, Jungen weinen nicht. Ich war so wütend auf Papa, weil er das gesagt hat, und auf mich, weil ich geweint habe. Ich weiß ganz genau, dass Papa auch schon geweint hat, damals, als Oma starb. Ich fand das einfach gemein, was er sagte, deshalb bin ich weggelaufen. Ich wollte ja wieder zurück.“
Jetzt schüttelte Malu den Kopf. „Weißt du, ich denke, dass dein Vater es gar nicht so gemeint hat, manchmal sagen Erwachsene zu ihren Kindern etwas, ohne darüber nachzudenken, dass sie diese damit verletzen können.“
Sophia schmunzelte. „Ich finde es nicht schlimm, wenn man weint und auch Jungen dürfen weinen.“
Es raschelte am Eingang und eine große Schildkröte kroch herein. „Hallo, ist da jemand?“
Malu grinste. „Hey, ist das Horacia, wir haben uns schon lange nicht gesehen.“
Horacia lachte. „Malu und Sophia, welch eine Freude, was hat euch hierher getrieben?“
Sophia sprach: „Wir sind den Regentropfen und dann wir hier in dieser Höhle gelandet und haben Felix gefunden, einen kleinen Flüchtling. Sein Papa war gemein zu ihm.“
Horacia lächelte. „Was hat der Papa denn getan?“
Felix grummelte: „Er hat zu mir gesagt, Jungen weinen nicht.“
„Ah, das alte Lied, viele denken, Tränen zeigen Schwäche, doch im Gegenteil, Tränen sind Stärke, Stärke, seine Gefühle zu zeigen. Leider ist es einfacher zu sagen, Jungen weinen nicht, denn dann muss sich niemand mit der Frage beschäftigen, warum man es tut und was für Gefühle dahinterstecken.“
Felix schnaubte. „Das ist doch voll doof. Doch du hast recht, er sagte das nur und ließ mich stehen. Er fragte nicht mal, warum mir die Tränen über das Gesicht liefen.“
Malu verdrehte die Augen „Wieder mal typisch Erwachsene, schnell ne doofe Aussage und sich dann aus der Situation rausziehen.“
Horacia zwinkerte. „Ich möchte euch gerne eine Geschichte erzählen, lasst uns alle am Eingang sitzen, dann können wir den Regentropfen lauschen und dem Gesang des Meeres, während ich erzähle.“
Alle machten es sich am Eingang bequem und Horacia fing zu erzählen an.
„Vor langer Zeit saß ein Mädchen am Meer auf einem Felsen. Es versuchte krampfhaft, nicht zu weinen. Eine einzelne Träne tropfte in die Wellen und nun schwamm sie alleine durch den großen Ozean. Sie war traurig und einsam. Sie ließ sich mit den Wellen treiben, immer weiter. Doch plötzlich sah sie vor sich ein Leuchten und schwamm darauf zu. Es glitzerte und funkelte. Es kam von oben und es sah aus, als würden viele kleine Diamanten auf die Wellen treffen. „Hallo, seid ihr auch Tränen?“, fragte sie. „Nein, wir sind Regentropfen“, bekam sie zur Antwort. „Was sind Regentropfen?“ Die Regentropfen schauten sie an. „Weißt du, wir sind vieles, wir stehen für Macht, wenn wir zu viele sind, dann können wir zerstören, doch wir stehen auch für Freude und Leben, denn wir bringen der Natur Nahrung, dass sie wachsen kann. Manche freuen sich, wenn sie uns sehen, und andere wiederum schimpfen, wenn wir kommen. Doch am Ende bringen wir Leben und frischen Atem für die Natur. Selbst hier im Ozean bringen wir Reinigung und Erfrischung.“ Die Träne dachte über das Gesagte nach. „Dann bin ich so wie Ihr, auch ich stehe für Freude, doch auch für Leid, Schmerz und Frust. Manchmal fließe ich aus Trauer und Schmerz, dann wieder, weil jemand sich ärgert, doch oftmals auch aus Freude, Liebe und Glück. Ich habe mich rausgeschmuggelt, denn ich sollte nicht fallen, doch gerne wäre ich aus Freude geflossen.“ Die Regentropfen lachten. „Wir haben so viel gemeinsam. Doch warum bist du alleine?“ Die Träne überlegte. „Das kommt daher, dass niemand mehr weint, sie sehen das als Stärke an, ihre Tränen zu verbergen und zurückzuhalten. Nur einzelne von uns finden ihren Weg in die Freiheit.“ Die Regentropfen schauten ganz entsetzt. „Das ist schlimm, so ist es doch etwas Schönes, Befreiendes, Tränen zu vergießen, egal, aus welchem Grund.“ „Wir geraten in Vergessenheit, viele wissen nicht mehr, wie man weint, weil sie ihre Gefühle nicht zugeben.“ Die Träne schwieg eine Zeit lang. „Wisst ihr, ich bringe so viel Kraft, doch keiner merkt es. Wenn man es genau nimmt, bringe ich, egal, aus welchem Grund ich fließe, immer Erleichterung und Freiheit. Ihr Regentropfen seid wie Tränen, nur dass ihr einfach fallt, ohne nachzudenken.“ Die Regentropfen schmunzelten. „Ja, wir sind Tränen des Himmels, denn dort wird nicht darüber nachgedacht, ob wir fallen oder nicht, wir tun es einfach. Kleine Träne, schließ dich uns an, bald wird die Sonne uns zurückholen in den Himmel und dann kannst du mit uns fallen.“ Die Träne freute sich und schwamm mit den Regentropfen mit. Einige Tage später bemerkte sie einen Sog, sie wurde emporgezogen in den Himmel. Es war traumhaft schön. Sie hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Dann kam der Tag, auf den sie gewartet hatte, sie fiel mit den Regentropfen gen Erde. Sie brach durch die Wolken, sah das Meer vor sich und mitten in den Wellen stand das Mädchen, reckte die Arme in die Luft und lachte. Aus ihren Augen rollten Tränen. Die Träne schwebte darauf zu und tauchte ins kühle Nass. Da waren sie, die Tränen der Freude, und sie schwamm zwischen ihnen, vermischte sich mit den Regentropfen und tanzte durch die Wellen. Da verstand sie, Tränen sind Regentropfen der Seele.“
Horacia schaute alle an. Felix überlegte und schaute in den Regen. „Schaut sie euch an, sie fallen und niemand kann sie aufhalten. Genau wie ich die Tränen heute Morgen nicht aufhalten konnte. Mir ging es danach auch etwas besser, wenn mich auch die Aussage meines Papas verstört hat.“
Malu gluckste. „Du hast einfach deinen Gefühlen freien Lauf gelassen, dadurch hast du dich befreit. Tränen zu vergießen ist keine Schwäche und auch nicht nur den Mädchen vorbehalten. Jeder darf weinen, ob alt oder jung, als Junge oder Mädchen, das ist egal. Tränen sind die Regentropfen der Seele, wir brauchen uns nicht deswegen zu schämen. Im Gegenteil, sie befreien uns und machen uns glücklich.“
[…]
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