„Sophie und Claudine – Auf Umwegen zum Glück“ von Verena Dahms


Manchmal braucht das Herz mehr Zeit, um etwas zu akzeptieren, was der Kopf schon längst weiß.

Sophie und Claudine, Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Sophie träumt davon, in New York am Broadway als Musical-Sängerin durchzustarten. Sie ist wild, freiheitsliebend und will sich nicht binden. Als sie Julien kennenlernt, spürt sie eine starke Anziehungskraft, doch sie will ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren, am Broadway erfolgreich zu sein, und ignoriert ihre Gefühle für den jungen Mann. Ablenkung kann sie nicht gebrauchen, denn es ist ohnehin schwer genug, eine Chance in ihrem Traumberuf zu erhalten.

Claudine hingegen ist ruhig, besonnen und hat nach einem tragischen Reitunfall mit ihrer Querschnittslähmung zu kämpfen. Ihr Traum ist es, eine Familie zu gründen, doch sie glaubt, in ihrem Zustand wäre es absurd, darauf zu hoffen. Als sich Marcel, ihr ehemaliger Therapeut, in sie verliebt, stößt sie ihn weg, denn sie möchte nicht aus Mitleid geliebt werden. Einmal mehr hadert sie mit ihrer Behinderung.

Eine Geschichte über Höhen und Tiefen des Lebens, über Verlust, Liebe und die Bedeutung von Zusammenhalt.

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Leseprobe

August. Die Hitze lag schwer über den Feldern. Kein Laut war zu hören.
Das Gut lag eingebettet zwischen hügeligen Wiesen, die unter der wochenlangen Dürre braun geworden waren. Es gehörte zu Sermur, einem kleinen Dorf, das circa zehn Kilometer entfernt lag. Eine Kirche und ein paar Häuser, das war der Dorfkern. Es gab keine Schule, keinen Tante-Emma-Laden, nicht einmal ein kleines Bistro, wie sie normalerweise überall in Frankreich auf dem Land zu finden waren. Die Kinder von den umliegenden Höfen wurden von einem Schulbus nach Guéret gebracht.
Bernard Marchand saß am Schreibtisch und blickte aus dem Fenster zur Pferdekoppel, die hinter dem Hauptgebäude lag. Ein kurzer Fußweg führte dorthin, auf dem er schon lange nicht mehr zur Koppel spaziert war. Als er die Pferde damals gekauft hatte, plante er, in die Pferdezucht einzusteigen. Doch bald erkannte er, dass ihm neben seiner Arbeit auf dem Gutshof und der Aufgabe als Vorstand im Verein für Agrikultur zu wenig Zeit dafür blieb. Und er musste zugeben, dass ihm die notwendigen Kenntnisse für die Pferdezucht fehlten. So setzte er die Tiere, es waren richtige Arbeitspferde, für die Holzarbeiten im Wald ein. Manchmal vermietete er sie auch an
Hochzeitevents oder für Ausfahrten mit den Pferdekutschen, die in der Remise neben dem Pferdestall standen. Die Pferde, drei Percheron und ein Shire Horse, suchten nun bei der Hitze den Schatten unter den breit ausladenden Bäumen am Rande der Koppel.
Claudine und Sophie lümmelten im Spielzimmer auf dem Sofa. Sophie las in einem Schulbuch und Claudine starrte Löcher in die Luft. Aus dem unteren Stockwerk drangen leise Klaviertöne nach oben.
Maman spielte die Nocturne von Chopin. Ein Lieblingsstück von ihr. Immer wenn sie Zeit hatte, setzte sie sich ans Klavier und spielte. Aufgewachsen in einer Hoteliersfamilie in Südfrankreich, bekam sie schon früh Klavierunterricht. Ihre Mutter erkannte das Talent ihrer Tochter und förderte es.
»Wann singst du denn wieder?« Claudine stupste ihre Schwester in die Seite.
»Lass mich, siehst du nicht, dass ich am Lernen bin?«
»Sehe ich. Aber sag doch, wann.«
»Wenn die Schule beginnt, im September bekomme ich wieder Gesangsunterricht.«
»Und bis dahin singst du nicht mehr? Das ist aber schlecht für deine Stimme!«
»Und du, wann gehst du wieder reiten?«
»Ist doch viel zu heiß. Vielleicht heute Abend, Shone braucht Bewegung. Deinem Basti würde Bewegung auch guttun.« Claudine stand auf, schenkte sich Wasser in ihr Glas auf dem Tisch ein. »Ich geh jetzt zu Maman runter und frag, ob ich ein Eis haben darf.«
»Bringst du mir eins mit?« Sophie ließ das Buch auf die Knie sinken.
»Mach ich.« Claudine verschwand durch die Tür und Sophie hörte, wie sie nach unten hüpfte.
Sie schüttelte den Kopf. Ihre kleine Schwester. Pferdenärrin. Gutmütig. Brav wie ihr Lieblingspferd Shone. Und eine, die stets Bestnoten nach Hause brachte. Schon als sie zusammen Privatunterricht hatten, war sie ihr immer voraus, besonders in Mathe. Und das, obwohl Claudine mit ihren dreizehn Jahren zwei Jahre jünger als sie selbst war.
Seufzend nahm Sophie das Buch wieder zur Hand. Sie büffelte für die Schule. Sie musste es und hasste das. Prüfungen, lernen, büffeln. Singen, tanzen und Klavierspielen, das waren ihre liebsten Beschäftigungen. Die Fächer gab es aber nicht am Lycée in Guéret.
»Nur wenn du dein Abi bestehst, mit mindestens einer Note im Mittelfeld, darfst du in Bordeaux an die Musikschule«, sagte Papa kürzlich, als sie wieder einmal mit einer schlechten Note nach Hause kam.
»Verdammt!« Sophie schmetterte das Buch in die Ecke. »Ich will singen. Nur singen. Mehr nicht.«
Sie durfte sich nicht beschweren, denn ihr musikalisches Talent wurde schon früh gefördert. Maman hatte erreicht, dass sie Klavierunterricht und Gesangsunterricht bekam.
Papa war allerdings nicht sehr glücklich darüber. »Sie wird eh einmal heiraten und dann als Erstgeborene zusammen mit ihrem Mann das Gut weiterführen. Was sollen also diese Extrawürste?«

[…]


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