Der wagemutige Weg einer starken jungen Frau und die Geschichte einer großen Liebe in Spanien
London 1903. Der Vater der jungen Spanierin Isabel hat mit dem Import von Rosinen aus der Heimat ein Vermögen gemacht. An ihrem einundzwanzigsten Geburtstag eröffnet er ihr, dass sie Rafael heiraten soll, den Sohn eines Rosinenbarons, den sie schon seit ihrer Kindheit verabscheut.
Auf sich allein gestellt, kann Isabel sich das Studium an der Londoner Kunstakademie nicht leisten. Sie hat keine andere Wahl, als ihren Traum zu begraben und an Bord des Schiffes zu gehen, das sie zurück nach Dénia bringen wird. Doch kurz vor der Ankunft verlässt Isabel das Schiff, entschlossen, sich der Vermählung zu entziehen.
Auf der Flucht in der von einer Reblausplage bedrohten Stadt begegnet Isabel ihrer Jugendliebe wieder – und Rafael. Getrieben von einem dunklen Familiengeheimnis setzt er alles daran, sie in einen goldenen Käfig zu sperren. Doch Isabel kämpft für ein selbstbestimmtes Leben und lässt nichts unversucht, um dem Schlüssel zur Freiheit auf die Spur zu kommen …
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Leseprobe
Sich mitten im Juli zum einundzwanzigsten Geburtstag einen makellos blauen Himmel zu wünschen, von dem schon morgens die Sonne durch das Fenster schien und einen sanft aus dem Schlaf hob, wäre in nahezu jeder europäischen Hauptstadt östlich und südlich des Ärmelkanals reine Zeitverschwendung. In London nicht. Isabels Wunsch war ungehört geblieben, wie sie feststellte, noch bevor sie die Augen aufschlug. Der Regen trommelte so kräftig gegen die Fensterscheiben, dass sie davon bereits um kurz vor sechs wach geworden war. Vater schlief sicher noch und Harriet, ihre Haushaltshilfe, kam vor sieben
nicht ins Haus.
Isabel überlegte, sich noch einmal in ihre Federbettdecke einzumummeln und sich zurück in diesen wunderschönen Traum von einem perfekten Sommertag und ihrem Spaziergang
am Meer zu begeben. Das angenehme Gefühl von feinem Sand an den Fußsohlen, auch der Brandung, die die Füße sanft umspülte und angenehm erfrischte, war noch so gegenwärtig, dass sie sich nur umzudrehen brauchte, um wieder in diese Welt hineinzufinden – eine Fähigkeit, die sie sich seit frühester Kindheit angeeignet hatte. Anders war das Leben in dieser von Nebel und Regen regierten Stadt, in der sie sich bis zum heutigen Tag wie eine Fremde fühlte, kaum zu ertragen.
Heute wollte es jedoch nicht gelingen. Ihre Gedanken kreisten um die erlangte Volljährigkeit, zumindest auf dem Papier, denn letztlich würde sie weiterhin unter dem Vormund ihres Vaters stehen. Ungerechte Welt! Hier genau wie in ihrer spanischen Heimat.
Isabel setzte sich im Bett auf und überlegte, ob sie hinunter in die Küche gehen und sich einen Tee zubereiten sollte, doch dann verfing sich ihr Blick am Gemälde auf ihrem Schreibtisch, das sie am Vorabend nur deshalb nicht fertiggestellt hatte, weil ihr nach einem langen Arbeitstag im Büro von Vaters Rosinenhandel die Augen beim Malen zugefallen waren. Den Dattelpalmen fehlten noch ein paar orangefarbene Tupfer. Das
wären schöne Farbkontraste inmitten des in ihrer alten Heimat immerwährenden Grüns schier endloser Weinstockreihen, die
sich vom bergigen Hinterland bis hinunter zum Meer erstreckten. Am Horizont spannte sich ein azurblauer Himmel, der das einige Nuancen dunklere Meer küsste. Daran schmiegten
sich kilometerlange Sandstrände, die von Dénia bis fast nach Valencia reichten. Wie oft war sie dort an Sonntagen mit Vater stundenlang spazieren gegangen! Eines der wenigen Dinge, an die sie sich noch erinnern konnte. Seit ihrem zehnten Lebensjahr erlebte sie dies nur noch in ihren Träumen.
Isabel kroch aus dem Bett und begab sich noch im Nachthemd zu ihrem Sekretär neben dem Fenster. Aus einem seiner beiden Regale lachte sie ihr Glücksbringer an, ein geschnitztes kleines Schweinchen, das ihr Fernando, ein Junge aus der Nachbarschaft, zu ihrem zehnten Geburtstag kurz vor ihrer Abreise nach England zum Abschied geschenkt hatte. Auch mit ihm und dem Baumhaus auf dem Grundstück der Schreinerei seiner Eltern verband sie eine glückliche und vor allem unbeschwerte Zeit.
Die Pastellkreide lag vom Vorabend griffbereit auf dem Schreibtisch. Hingen die Datteln nicht wie Trauben an stacheligen Bögen? Schon so lange her. Isabel nahm die orangefarbene Kreide und ließ ihrer Hand freien Lauf, um den Palmen ihre Datteln zu geben. Sie lehnte sich danach zurück und glaubte, dass es damals genauso ausgesehen haben musste. Es war der Ausblick von der Terrasse ihres Elternhauses im hügeligen Hinterland, an dessen schmiedeeisernem Geländer auch auf ihrem Bild lilafarbene Bougainvilleablüten emporrankten. Von dort aus sah man weiße Häuser mit roten Ziegeldächern in der Ferne. Sie tummelten sich unter einer Festung an der Küstenlinie – den Montgó, Dénias Hausberg, im Rücken. Die Leute nannten ihn auch den schlafenden Elefanten. Das lag an seiner außergewöhnlichen Form und einem Ausläufer, der sich
wie ein Rüssel bis hin zum Meer schlängelte. Isabel betrachtete ihr Werk. Es war noch schöner als in ihren Träumen. Bunt wie das Leben in ihrer Kindheit. Wenn Vater es zu sehen bekam, würde er es bestimmt wieder als »verklärt« bezeichnen. Und selbst wenn. War das ein Wunder, wenn man in einer Stadt lebte, deren Antlitz so grau war? Hatte er denn keine Sehnsucht nach seiner Heimat? Nach der Wärme, der Herzlichkeit, die den Menschen stets ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Hierzulande rangen sie es sich ab. Es galt gar als unangebracht, unbeschwert fröhlich zu sein. Vater musste sich doch auch an all das erinnern.
[…]
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