Endlich ist der Frühling auf dem Darß eingekehrt und Sontje kann das Leben in ihrer Heimat genießen. Während der Nestbau für sie und ihr Baby im Haus ihrer Großeltern voranschreitet und ihre Mutter wieder ins Leben zurückfindet, beschließt ihre Freundin Chloé aus dem Elsass nach Prerow zu ziehen. Doch trotz all des Glücks, das sie umgibt, gerät Sontjes Herz noch immer aus dem Takt, sobald sie Florian, ihre große Liebe, trifft.
Als wäre das nicht schon genug, erfährt Sontje, dass Opa Fiete das Familiengestüt verkaufen will. Ein Kompromiss scheint die einzige Lösung zu sein, aber das würde bedeuten, Florian näher kommen zu müssen, als es ihr gut tut. Was also tun, wenn die Vernunft sich dafür entscheidet, das Herz hingegen rebelliert?
Frida Luise Sommerkorn | Kindle | Tolino
„Okay, du kannst!“ Chloé stand auf einer Leiter und drückte eine Tapetenbahn fest an die Wand. „Aber schön vorsichtig! Nicht, dass sie mir wieder aus der Hand rutscht.“
Sontje kniete auf dem Boden und zog die feuchte Tapete langsam nach unten. Sie schob die Bahn sorgfältig an die daneben hängende, dann begann sie, mit einer weichen Bürste darüber zu streichen. So arbeitete sie sich nach oben, während Chloé ihr von der Decke aus entgegenkam. Als sie alle Unebenheiten ausgestrichen hatten, sprang Chloé von der Leiter und begutachtete ihr Werk.
„Geht doch, oder? Von wegen, wir kriegen das nicht hin. Wenn dein Opa wüsste, wie oft ich meinen Eltern beim Renovieren zur Hand gehen musste. Und glaube mir, meine Oldies lieben es, das Haus umzugestalten. Da ist das hier ein Klacks.“ Chloé pustete sich eine Strähne ihrer roten Locken aus dem Gesicht und steckte sie dann hinter das Ohr. Sie hatte die Haare zu einem wilden Knoten auf dem Kopf zusammengebunden, trotzdem lösten sich immer wieder widerspenstige Strähnen.
Sontje schaute ihre Freundin liebevoll an. Seit Weihnachten war Chloé häufig bei ihr gewesen. Im Januar hatte sie sich von Paris verabschiedet und war wieder zu ihren Eltern ins Elsass gezogen. Doch da sie es dort auch nie lange aushielt, war Prerow schon so etwas wie ihre zweite Heimat geworden. Jedenfalls schien sie sich hier richtig wohl zu fühlen.
„Möchte ich wissen, was gerade in deinem Kopf vorgeht?“, fragte Chloé und grinste. Dann nahm sie eine neue Tapetenbahn und legte sie auf den langen Klapptisch.
„Ich frage mich gerade, ob ich nicht, statt einer Abstellkammer, lieber dir ein Zimmer einrichten sollte“, antwortete Sontje mit einem Schmunzeln.
„Na sag mal, ich schlafe doch nicht in der Abstellkammer. Obwohl ich sagen muss, dass der Raum größer ist als manch eines der Zimmer, in denen ich in Paris stellenweise gehaust habe. Als wir uns kennengelernt haben, habe ich quasi in einer Luxussuite gelebt.“ Chloé klatschte mit einem großen Pinsel den Kleister auf die Tapete und begann ihn zu verstreichen.
„Fast wie ich, was?“, fragte Sontje und versuchte es mit einem Lachen. Sie erinnerte sich noch gut an Chloés kleine Wohnung in einem der Häuserblocks unweit der Villa, in der sie gewohnt hatte. Und wie sehr sie ihre Freundin darum beneidet hatte. Wie gerne hätte sie mit ihrem goldenen Käfig getauscht.
„Kusch“, rief Chloé. Sie bewarf Sontje mit einem Lappen. „Weg mit den miesen Gedanken! Der Typ ist es nicht wert. Und überhaupt! Wie soll es denn deinem Baby gehen, wenn die Mama ständig grübelt. Lass uns jetzt mal endlich fertig werden hier. Ich freu mich schon so auf Opa Fietes Gesicht!“
Sontje nickte. Chloé hatte ja recht. Sie sollte nicht ständig an die Vergangenheit denken. Auch wenn ihr das wirklich nicht leichtfiel. Immer wieder fragte sie sich, wie Chloé das machte. Sie hatte in Paris alle Zelte abgebrochen, ihren gutbezahlten Modeljob an den Nagel gehängt und war einfach wieder in die Heimat gezogen. So ähnlich war es ihr selbst ja auch ergangen. Aber irgendwie wollten sich die Schatten der Vergangenheit nicht so einfach abschütteln lassen.
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