„Luise und ihr Traum vom Gestern“ (Besuch aus der Kaiserzeit 1) von Angelika Godau

Stell dir vor, deine Ururgroßmutter stünde plötzlich vor dir – in Fleisch und Blut, kaum älter als du selbst. Was würdest du tun?
Sabrina ist mit Leib und Seele Journalistin. Für sie zählen Fakten, Glaubwürdigkeit und gut recherchierte Informationen. Als aus dem Nichts eine fremde Frau in ihrem Schlafzimmer auftaucht, ist ihr Urteil schnell gefällt: Das kann nur eine Kriminelle oder Geisteskranke sein. Oder?
Doch Sabrina ist Journalistin, sie hört die Frau an – schließlich könnte sich hinter dem unerklärlichen Ereignis die Story ihres Lebens verstecken.
Und tatsächlich hat sie den richtigen Riecher: Was die Fremde zu erzählen hat, stellt nicht nur alles infrage, woran sie glaubt. Es verändert unwiederbringlich ihr Leben.

Angelika Godau | Kindle | Taschenbuch

Buchtrailer (Facebook)

›Wer ermordete den Kabinettsminister?‹
Ich schrecke hoch und schnappe nach Luft. Mein Herz hämmert wie nach einem Hundertmeterlauf. Panisch schaue ich mich in meinem Schlafzimmer um, alles ist wie immer. Durch die geschlossenen, lindgrünen Vorhänge schimmert diffus das Licht der Straßenlaterne. Schweiß steht auf meiner Stirn, rinnt langsam hinter die Ohren. Ich wische ihn mit einem Zipfel meines Kopfkissens weg, merke, dass ich viel zu schnell atme. Die feuchte Bettdecke ist unangenehm, ich schiebe sie nach unten zu meinen Füßen. Dankbar genieße ich einen kühlen Luftzug, der meinen erhitzten Körper kühlt.
›Wer ermordete den Kabinettsminister?‹
Die Worte hämmern in meinem Kopf. Und die Schreie einer Frau. Oder habe ich geschrien und bin davon aufgewacht? Immer wieder taucht dieser Satz in meinem Kopf auf, und Stimmen, die durcheinander rufen. Eine Kutsche rast vorbei. Wieso träume ich von einer Kutsche? Ich presse die Fäuste an die Schläfen und schaukele langsam vor und zurück. Wenn ich mich doch nur erinnern könnte. Diese Frau! Sie ruft meinen Namen, kommt auf mich zu, streckt flehend ihre Hände aus. Ihr Gesicht ist so präsent wie das einer guten Freundin.
»Hilf mir!« Ihre Stimme ist nur ein Flüstern, ihre Lippen zittern. »Bitte, hilf mir. Es war Mord. Sie haben meinen Minister umgebracht.«
»Verdammt«, rufe ich, »verdammt, lass mich endlich in Ruhe, ich kenne deinen Minister nicht.«
Erneut schreit eine Menschenmenge, und zieht sie mit sich fort.
Das muss aufhören! Das geht nicht so weiter. Morgen bin ich völlig gerädert und kann mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren. Ich ziehe mein Smartphone vom Strom und googele nach ›Albträumen‹. Baldrian, Rosenwurz und Passionsblume, aber auch heiße Milch mit Honig soll, neben allgemeinen Entspannungsübungen, dagegen helfen. Alles wenig verlockend, aber egal, ich muss was unternehmen. Es ist halb vier, als ich endlich in einen traumlosen Schlaf hinübergleite.
Den ganzen nächsten Tag über begleitet mich ein Gefühl von Verzweiflung und Traurigkeit, das ich mir nicht erklären kann. Daher bin ich froh, dass meine beiden Kinder seit gestern bei meinem Ex sind und erst am Wochenende wieder auftauchen werden.
Ich bin Sabrina Wagner, 25 Jahre alt, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, drei und vier Jahre alt, habe einen stressigen Job, mit einem cholerischen, unberechenbaren Chef. Als würde das nicht reichen, als Sahnehäubchen noch einen Exmann, der sich große Mühe gibt, mich in den Wahnsinn zu treiben. Darin ist er unübertroffen, von Kater Ramses einmal abgesehen.
Nach dem morgendlichen Ansturm in der Redaktion streame ich Entspannungsmusik und komme mir lächerlich vor. Wer braucht in meinem Alter Entspannungsmusik zu heißer Milch mit Honig? Egal, ich muss endlich wieder eine Nacht durchschlafen, ohne von Albträumen geplagt zu werden.
Also, heute Abend keine Vampirserien, der Fernseher bleibt aus. Ich lege mich mit einem Buch auf die Couch und trinke widerwillig heiße Milch mit Honig, während im Hintergrund leise Walgesänge laufen. Das Entspannungsprogramm funktioniert mega, ich wache um 06.30 Uhr auf der Wohnzimmercouch statt in meinem Bett auf. Komplett angezogen, das Buch auf der Brust, dafür ohne Frau, ohne Kutsche oder ermordeten Kabinettsminister. Wunderbar, ich fühle mich ausgeschlafen und bereit, dem Tag ins Auge zu sehen. Ich springe auf und stehe in den Resten von Milch mit Honig, die meinen neuen, schwarzen Hochfloorteppich verkleben.
Gleichzeitig erscheint Kater Ramses auf der Bildfläche.
Er kommt von draußen und bringt den Duft von Wald und Feldern mit. Seine grünen Augen schauen mich an und er kommt laut maunzend auf mich zu.
»Hallo«, heißt das, »steh nicht rum, folge mir in die Küche. Ich habe Hunger!«
Ramses ist nicht irgendein Kater, ich bin sicher, er ist die Reinkarnation seines Namensvetters, Pharao Ramses. Er ist zwar Türke, kein Ägypter, aber Herrschen kann er.
Jetzt streicht er, gurrend und maunzend, den plüschigen Schwanz steil nach oben gereckt, um meine Beine herum. Ich beuge mich runter, kraule seine Ohren, und er drückt liebevoll seinen Kopf in meine Hand. Zwei Sekunden lang, mehr ist nicht drin, dann fordert er lautstark Futter. Er ist ein launischer Kater, der ohne Vorwarnung zubeißen kann, wenn ihm etwas nicht passt. Darum zögere ich keinen Augenblick und folge ihm in die Küche. Hier erwartet mich der Abwasch der letzten drei Tage. Der Stapel neben der Spüle ist bedrohlich hoch und ich lasse heißes Wasser einlaufen. Ich habe zwar eine Spülmaschine; leider ist die seit Wochen kaputt.
Während der Kater seine Industriematsche runterschlingt, mache ich klar Schiff, und da ich grad so gut in Schwung bin, hole ich noch den Staubsauger aus dem Kabuff. Nach sechs Minuten bin ich fertig, meine Wohnung hat nur 70 qm, verteilt auf drei Zimmer, Küche, Bad, Balkon, in einem 800 – Seelendorf; unweit von Heidelberg.
Es ist Samstag, sieben Uhr, was fange ich mit dem restlichen Tag an? Wenn die Kids da sind, wünsche ich mir oft sehnsüchtig eine Stunde für mich allein. Ohne »Mama, guck mal, Mama, komm mal«, aber sind sie beim Vater, weiß ich nichts mit mir anzufangen. Muss mit dem Mutterdasein zu tun haben, früher war ich ganz anders.
Um 22.00 Uhr liege ich im Bett, ohne Milch mit Honig und Walgesang, lese noch ein paar Seiten, kann mich aber nicht konzentrieren. Also, Buch weg, Licht aus und schlafen.
Da ist jemand in meinem Zimmer!
Diesmal träume ich nicht, ich bin wach, kriege aber meine Augen nicht auf, dafür Gänsehaut am ganzen Körper. Adrenalin flutet meinen Organismus, mein rasendes Herz pocht in meiner Kehle.
Ich bin sicher, da atmet jemand und dieser Jemand stinkt nach Mottenpulver! Einbrecher, ist das Erste, was mir einfällt, und ich bemühe mich verzweifelt, meine Augen aufzureißen. Endlich gelingt es mir, aber sehen kann ich nichts, es ist stockfinster. Nicht einmal die Straßenlaterne brennt. Mit zitternden Fingern taste ich nach der Nachttischlampe, finde den Schalter, und mein Schlafzimmer wird vom spärlichen Licht einer 25-Wattbirne erhellt.

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