Marseille 1955. Der Indochina-Krieg ist zu Ende, die Franzosen müssen sich geschlagen aus Saigon zurückziehen. Vor diesem Hintergrund lernen sich in Marseille zwei Männer kennen, die unterschiedlicher kaum sein können.
Hans Larsson, deutscher Seemann, ist wegen einer Schlägerei im Knast gelandet und sein Schiff ist ohne ihn ausgelaufen. Jean-Pierre Laval ist ein deutscher Arzt mit zwielichtiger Vergangenheit bei der Waffen-SS. Gegen Ende des 2. Weltkrieges hatte er sich mit falschem Pass zur Fremdenlegion nach Vietnam abgesetzt. Was sie verbindet – beide suchen einen Weg, aus Europa zu verschwinden.
Der Kapitän eines deutschen Frachtschiffes ist bereit, sie nach Saigon mitzunehmen und sie verlassen Marseille. Was nicht einmal der Kapitän weiß – im vorderen Laderaum des Schiffes stapeln sich bis unter die Lukendeckel Kisten mit Waffen. Ziel der heißen Fracht – Formosa.
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Leseprobe
Ohne es richtig mitzukriegen, war ich auf der Rue Thubaneau gelandet. Eine schmale Straße, rechts und links eiserne Begrenzungspfosten, überquellende Mülltonnen. Zwei Huren lehnten an der Hauswand, qualmten Gauloises. Frühschicht.
Quietschend kam ein Lieferwagen die Straße entlang, hielt vor einem Restaurant, röchelnd verstummte der Motor. Der Fahrer stieg aus, schlug die Plane hoch und eine Wolke von Fischdunst hing über der Straße. Der Mann nahm eine Holzkiste von der Ladefläche und trug sie zum Eingang des Restaurants, setzte sie neben dem Treppenabsatz ab. Mit der flachen Hand klatschte er gegen die Tür, ging zurück zum Wagen und fuhr weiter.
Die Bistros und die wenigen Geschäfte waren noch geschlossen, nur langsam belebte sich die Straße. Aus einer Tür sah ich einen Mann kommen. Seine Jacke hatte er lose auf den Schultern, das Hemd offen bis zum Bauchnabel. Sein Hosenschlitz stand noch offen. Ich sag’ Ihnen, ein Anblick wie aus einem Comic.
»He, Hans«, hörte ich Sandrine’s rauchige Stimme.
Ich blickte hoch. Sie hing im ersten Stock aus dem Fenster, ihre Brüste quollen über den Fensterrahmen.
»Lust auf Kaffee?«
»Bei dir?«
»Komm’ rauf.«
Sie schloss das Fenster.
Ich ging die knarrende Treppe rauf. Lässig an den Rahmen gelehnt stand sie in der Tür, einen schwarzen Kimono mit gelb-roten Flamingos über die Schultern gezogen, vorne offen. In der linken Hand hielt sie einen Zigarillo.
»Bist du alleine?«
»Komm rein.«
Ich folgte ihr ins Zimmer und zog die Tür hinter mir zu.
Es war keine richtige Wohnung. Ein schmaler Raum, Platz für ein breites Bett. An der Wand ein Regal mit einem fleckigen Tuch davor. In der Ecke durch einen Vorhang abgetrennt der Herd, daneben ein Stoß Brennholz und ein Regal mit Töpfen und einer großen eisernen Pfanne. Sandrine bereitete herrliche Crêpes. Vor dem Fenster stand ein verschnörkelter Caféhaustisch und zwei wackelige Stühle. Der ehemals weiße Anstrich des eisernen Tischgestells war verrostet. Wie ein Schiff nach langer Trampfahrt. Verrostet wie Sandrine.
»Setz dich«, sagte sie.
Ich setzte mich vorsichtig. Die Stühle waren wackelig, wusste ich von früheren Besuchen.
»Hast du schwer was abgekriegt?«
»Nicht weiter schlimm.«
»Sah gefährlich aus, wie du zu Boden gingst. Wo warst du? Ich dachte, dein Schiff wäre in See gegangen.«
»Die Flics haben für mein Wohlbefinden gesorgt. Zwei Nächte Vollpension in einer Zelle.«
Sie lachte schallend. »Die sind bekannt für ihre Gastfreundschaft.«
»Zur Begrüßung haben sie mir einen Schnaps spendiert. Dann haben sie mich bei einem Süffel einquartiert.«
Sie sah mich an wie einen mit Dachschaden.
»Einen Schnaps? Wie das?«
»Ich hab’ ihnen einen Witz erzählt.«
Den Spruch von der Ehre einer Dame sagte ich ihr nicht, wär’ falsch rübergekommen.
»Hat der Süffel auch einen gekriegt?«
»Glaub’ nich’. Als ich in die Zelle kam, lag er auf der Liege und schnarchte glücklich.«
»Es gibt keinen glücklichen Süffel.«
»Hast recht.«
Sie schenkte mir Kaffee ein, holte eine Dose mit Zuckerstücken aus dem Regal in der Küche.
»Jetzt ist mein Pott weg und ich sitze fest wie ein Frachter im Trockendock.«
[…]
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